Das Feld der neuropsychologischen Emotionsmessung ist im Aufwind. Doch halten die gängigen Methoden, was sie versprechen? In Ihrer Diplomarbeit hat Jana Pieper unter der Anleitung von Dr. André Weinreich an der Humboldt-Universität Berlin die Zuverlässigkeit von zwei aktuellen Verfahren untersucht: Elektromyografie (EMG) und Webcam-Emotiontracking (WCET). Die Ergebnisse zeigen: Während die die Zuverlässigkeit von EMG bestätigt werden konnte, sieht es für WCET leider schlecht aus.Emotionen beeinflussen den Konsum
Es ist ein Traum für jeden Marketer: Der potentielle Kunde sieht eine Produktwerbung, reagiert entzückt und die Abverkäufe steigen. In der Tat zeigen immer mehr Studien, dass unser Verhalten durch Emotionen stark beeinflusst wird. So konnten Suri, Sheppes & Gross (2013) empirisch nachweisen, was der gesunde Menschenverstand eigentlich schon immer wusste: Menschen wählen häufiger Dinge, die attraktiv sind, also positive Emotionen auslösen. Veltkamp, Custers, & Aarts (2011) haben diese Annahme sogar für Konsumverhalten bestätigen können. In deren Studie wurden Testpersonen emotional konditioniert um die Attraktivität von “Trinken” zu manipulieren. Die Forscher konnten zeigen, dass Menschen, bei denen eine positive Assoziation mit “Trinken” konditioniert worden war, in einem anschließenden Test spontan mehr Wasser getrunken haben, als Menschen bei denen “Trinken” nicht positiv konditioniert worden ist.
Wie misst man Emotionen zuverlässig?
Aber wie gelangt man zu Werbemitteln, die Produkte und Marken mit Positivität aufladen können? Indem man die emotionale Wirkung der Werbemittel optimiert! Unwirksame Designs werden ausgelesen und nur die wirksamen werden geschaltet. Man muss lediglich die emotionale Wirkung der Werbedesigns messen. Doch was so einfach klingt, ist in der Praxis eine harte Nuss. Wie kitzelt man brauchbare Urteile aus den Testpersonen heraus?
Schon lange beschäftigen sich Emotionsforscher mit dieser Frage. Sie haben entdeckt, dass Menschen oft nicht genau wissen, was sie wirklich fühlen, und wenn Sie es wissen, dass Sie ungern eine wahre Auskunft darüber geben (z.B. De Houwer, 2006). Außerdem ist es so, dass Werbemittel in über 90% der Fälle “on-the-fly” konsumiert werden und unsere Wahrnehmung lediglich streifen (z.B. beim Autofahren, im Internet oder beim Zeitung lesen). Selten setzen wir uns hin, und denken intensiv darüber nach, wie ein Werbedesign auf uns wirkt. Aber genau das wird bei Befragungen von den Testpersonen erwartet. Es ist klar, dass die Ergebnisse von solchen Befragungen wenig geeignet sind, um etwas über die tatsächliche Wirkung des Designs zu erfahren. Deshalb benötigt man Messverfahren, bei welchen die Werbedesigns nur für kurze Zeit sichtbar sind bzw. die Testpersonen nicht befragt werden. Erfüllt ein Messverfahren diese Kriterien, spricht man von einer impliziten Messung. Zwei dieser Verfahren, nämlich Elektromyografie (EMG) und Webcam-Emotiontracking (WCET), hat Jana Pieper hat in Ihrer Diplomarbeit untersucht, um herauszufinden, ob diese wirklich zuverlässige Messergebnisse liefern.
Faziale Elektromyographie versus Webcam Emotion Tracking
Beide Verfahren, EMG und WCET, fokussieren auf die Messung der Gesichtsmuskelaktivität. Die Gesichtsmuskeln haben faktisch immer eine gewisse Grundaktivität, welche jedoch durch den emotionalen Zustand der Person moduliert wird (Larsen, Norris, & Cacioppo, 2003). Mit zunehmender Attraktivität einer aktuell wahrgenommenen Information erhöht sich die Aktivität des Lachmuskels (zygomaticus major) und es verringert sich die Aktivität des Stirnrunzlers (corrugator supercilii).
EMG - Zahlreiche Studien zeigen, dass aus diesen spontanen Aktivitätsveränderungen zuverlässig Rückschlüsse auf die emotionale Wirkung von Designs gezogen werden können. Diese Studien haben ausschließlich EMG verwendet, um die Gesichtsmuskelaktivität zu erfassen. Das Verfahren ist wahrscheinlich deshalb so zuverlässig, weil es sehr empfindlich ist und auch kleinste, unsichtbare Aktivitätsveränderungen bemerkt. Diese Empfindlichkeit birgt aber auch die Notwendigkeit, Störquellen zu minimieren. Außerdem setzt die Applikation der notwendigen Elektroden technologische Expertise voraus. Es ist deshalb bisher nicht gelungen, das Verfahren zuverlässig in einer Heimanwendungsumgebung einzusetzen.
WCET - Verfahren aus der Klasse des Webcam-Emotiontracking (WCET) versprechen, diese Limitation zu überwinden. Hierbei wird das Gesicht der Testperson videografiert, und durch eine Software auf Basis eines trigonometrischen Modells die Aktivität bestimmter Gesichtsmuskelgruppen berechnet. Das Verfahren ist kontaktlos und benötigt lediglich eine Webcam, die beinahe in jedem Laptop oder Smartphone eingebaut ist. Das ermöglicht den Einsatz im Heimanwendungsbereich. Mit einem Internetanschluss könnten somit in kurzer Zeit die Daten vieler Testpersonen bereitgestellt werden. Doch kann WCET zuverlässige Messungen gewährleisten, obwohl es auf den Einsatz von Kontaktelektroden verzichtet?
Die Studie – Ablauf und Ergebnisse
In der Studie von Jana Pieper wurden den Testpersonen Bilder gezeigt, deren emotionale Wirkung bekannt war. Negative emotionale Bilder zeigten abstoßende Szenen (z.B. Unfälle und Verletzungen). Neutrale Bilder zeigten Szenen, die weder gut noch schlecht waren (z.B. Haushaltsgegenstände). Positive emotionale Bilder zeigten anziehende Szenen (z.B. Babies und attraktive Menschen). Die gleichen Bilder wurden übrigens in einer Studie von Suri, Sheppes und Gross (2013) verwendet. Jedes dieser insgesamt 30 Bilder wurde 105 Männern und Frauen auf einem Computerbildschirm für jeweils nur 3 Sekunden gezeigt. Während dieser Exposition wurden sowohl EMG als auch WCET erhoben. In der Analyse der Daten wurde untersucht, ob die emotionale Qualität der Bilder in den beiden Maßen sichtbar wurde.
Die Ergebnisse sind eindeutig. Während man über die Daten des Elektrodenbasierten EMG zuverlässige Aussagen über die emotionale Qualität der dargebotenen Bilder treffen konnte, war dies für das kontaktlose WCET nicht der Fall. In anderen Worten: Um etwas über die emotionale Qualität eines Bilds in Erfahrung zu bringen ist WCET nicht zuverlässiger als zufälliges Würfeln. Dagegen konnte Jana Pieper die Ergebnisse früherer Studien replizieren, und darlegen, dass aus den EMG-Daten zuverlässige Erkenntnisse über die emotionale Wirkung der Bilder ableitbar sind.
Die Abbildung zeigt die Entwicklung der Emotional Scores über den Präsentationszeitraum von 3 Sekunden. Die linke Abbildung zeigt den Verlauf der EMG Gesichtsmuskelaktivität für den Corrugator Supercilii (der Zygomaticus Major wurde in dieser Studie nicht erhoben). Wie man sieht trennen die Linien klar zwischen positiven (blau), neutralen (grün) und negativen (braun) Bildern, F(2,200) = 16.76, p < .001. Die mittlere und die rechte abbildung zeigen die Happiness bzw. Sadness Scores des FaceReader 4.0. Während der Happiness Score deskriptiv zwischen negativen und positiven Bildern zu diskrimieren mag, trifft das nicht für neutrale vs. positive Bilder zu. Der Valenz-Effekt ist insgesamt nicht signifikant, F(2,76) = 1.86, p >>.05. Der Sadness Score (ganz rechts) liefert ausschließlich Noise, F<1.
Zusammenfassung
Bisher sind die Ergebnisse leider ernüchternd. Vieleicht ist die Technologie des WCET noch nicht ausgereift? In Anbetracht der jahrelangen Entwicklungsarbeit, ist diese Erklärung aber unwahrscheinlich. Die Unzuverlässigkeit ist wahrscheinlich eher in der Methode an sich begründet: WCET kann ausschließlich auf sichtbare Informationen zurückgreifen. Jedoch führt nur ein Bruchteil von emotionalen Zuständen auch zu sichtbaren Veränderungen im Gesicht. Wichtige Informationen bleiben dem Verfahren verborgen. Dieses Problem ist natürlich auch dann nicht lösbar, wenn man mehr Testpersonen in eine Untersuchung integriert. Zu beachten ist ebenfalls, dass die Webcam-Messung in einer Laborsituation durchgeführt wurde, d.h. Ausrichtung der Kamera, Beleuchtung, Motivation, Grundstimmung und weitere Variablen wurden kontrolliert, was in einer Heimanwendung meist nicht gegeben ist.
Übrigens: eine ähnliche Untersuchung hat die Entwicklungsabteilung von emolyzr in Bezug auf die Zuverlässigkeit des emotiv epoc durchgeführt. Der Hersteller dieses Geräts verspricht, dass dieses emotionale Reaktionen erfassen kann. Diesem Versprechen folgend wenden einige Firmen das emotiv epoc an, um Ihre Werbemittel zu optimieren. Die Untersuchung (coming soon) hat jedoch gezeigt, dass man auf dessen Anwendung verzichten sollte, da die Emotionsmessung mit diesem Verfahren ebenfalls unzuverlässig ist und keine bessere Vorhersagekraft besitzt als zufälliges Würfeln. In diesem Sinne: alea iacta est.
Referenzen
De Houwer, J. (2006). What are implicit measures and why are we using them. The handbook of implicit cognition and addiction, 11-28.
Larsen, J. T., Norris, C. J., & Cacioppo, J. T. (2003). Effects of positive and negative affect on electromyographic activity over zygomaticus major and corrugator supercilii. Psychophysiology, 40(5), 776-785.
Suri, G., Sheppes, G., & Gross, J. J. (2013). Predicting affective choice. Journal of Experimental Psychology: General, 142(3), 627.
Veltkamp, M., Custers, R., & Aarts, H. (2011). Motivating consumer behavior by subliminal conditioning in the absence of basic needs: Striking even while the iron is cold. Journal of Consumer Psychology, 21(1), 49-56.
Weitere Meinungen zum Webcam Emotion Tracking
Roger Dooley, Autor von Brainfluence auf Forbes: http://www.forbes.com/sites/rogerdooley/2013/06/14/aol-realeeyes/