Das Gefühl wählt: Analyse der emotionalen Wirkung von Wahlplakaten zur Europawahl
Wer am Sonntag eine rationale Entscheidung treffen möchte, muss bis dahin fast 1.000 Seiten Wahlprogramme gelesen haben (wenn man nur die größten Parteien Deutschlands berücksichtigt). Bei den Grünen kann man sich das Wahlprogramm immerhin als Hörspiel herunterladen – wenn Sie mit dem Auto in gemütlichem Tempo von Berlin nach München fahren, sollten Sie es einmal gehört haben (fünfeinhalb Stunden). Und selbst wenn Sie alle Wahlprogramme gelesen haben: wissen Sie, worin sich die Ansichten der Parteien tatsächlich unterscheiden? Wo ist der Unterschied zwischen “Ein Europa der Chancen. Nicht der Arbeitslosigkeit.” und “Damit Europa Chancen für alle bringt.”?
Die Informationsflut zur Europawahl ist riesig. Die Zeit zum Lesen der Wahlprogramme nimmt sich kaum jemand. Ein Vergleich der Argumente ist mühsam.
Um das Problem der Informationsflut zu lösen, bedarf es Abkürzungen. Wie können wir eine gute Wahlentscheidung treffen, ohne das langwierige rationale Abwägen von ähnlich lautenden Argumenten?
- Der beste Weg: wir machen uns die Mühe und vergleichen!
- Ein gängiger Weg ist aber auch zum Beispiel der Wahl-O-Mat, in dem Thesen zusammengefasst und gegenübergestellt werden. Eine gute Möglichkeit, sich umfassend zu informieren und dennoch nicht zuviel Zeit aufbringen zu müssen.
- Der häufigste Weg, der gegangen wird, ist evolutionär tief in uns verankert: wir hören darauf, was unser Bauchgefühl uns sagt, was unsere Emotionen uns diktieren. Wir hören auf unsere Intuition.
Der Gesichtsausdruck des Kandidaten kann die emotionale Wirkung des Plakats stark beeinflussen. Während der unsichere Blick auf dem linken Plakat unangenehme Gefühle auslöst (eisblau eingefärbt), weckt das freundliche Lächeln auf dem rechten Plakat positive Emotionen (pink eingefärbt).
Warum ist das Bauchgefühl ein guter Partner, auf das es sich zu hören lohnt? Emotionen sind Signale des Gehirns, die uns helfen eine für uns richtige Entscheidung zu treffen. Oft sind wir konfrontiert mit mehreren Handlungsoptionen, z.B. wähle ich die SPD, die CDU, die FDP, die Grünen oder mache ich meine Stimme ungültig, oder bleibe ich gar zuhause? Jede Handlungsoption ist wiederum mit unzähligen Erlebnissen, Bewertungen, Erwartungen und Motiven verknüpft, die vom Gehirn entweder positiv oder negativ bewertet werden. Die Gesamtheit der positiven oder eher negativen Assoziationen, mit denen eine Handlungsoption verknüpft ist, determiniert unser Bauchgefühl zu dieser Option. Am Ende ist die Wahl, die sich insgesamt am positivsten anfühlt auch die Wahl, die ich an der Wahlurne treffe. Woher dieses überwiegend positive oder negative Gefühl stammt, kann jeder spekulieren – in Wahrheit ist es einem aber nicht bewusst zugänglich.
Gefühle helfen uns, die für uns richtige Wahlentscheidung zu treffen – ohne, dass uns die wahre Quelle dieser Gefühle bewusst zugänglich ist.
Unser Bauchgefühl speist sich also aus einer Unmenge an positiv oder negativ gefärbten Erlebnissen. Im Wahlkampf liefern Medienauftritte, Webseiten, aber vor allem auch die Wahlplakate wiederholt solche Erlebnisse. Die Kommunikation auf Wahlplakaten ist so ausgelegt, dass sie in den meisten Betrachtern positive emotionale Reaktionen hervorrufen soll. Jedes Mal, wo ein Wahlplakat den Betrachter emotional positiv anzusprechen vermag, wird auf dem Bauchgefühlkonto der Partei ein positives Ereignis gut geschrieben. Die Partei lädt sich somit im Kopf der Betrachter automatisch emotional positiv auf. Eine Wahl der Partei wird somit umso wahrscheinlicher, je mehr positive Erlebnisse mit der Partei verknüpft sind.
Grüne und Linke erzeugen mit ihren Plakaten eindeutig negative Emotionen (blau eingefärbt). Auch wenn das sicherlich beabsichtigt ist, ist es doch eine riskante Strategie.
Neben der emotionalen Wertigkeit einer Handlungsoption ist auch die Verfügbarkeit einer Handlungsoption entscheidend. Je mehr Wahlplakate von einer Partei aushängen, d.h. je präsenter sie in den Köpfen der Menschen ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Partei auch gewählt wird. Jedoch nur – und das ist wichtig – wenn sie auch emotional positiv belegt ist. Beispielsweise ist die NPD auch sehr präsent in den Köpfen, jedoch bei den meisten Wählern negativ belegt – weshalb sie hoffentlich nur wenige Stimmen erhalten wird.
Je häufiger Wahlplakate wahrgenommen werden (Verfügbarkeit) und je emotional positiver die Wahlplakate bewertet werden (Attraktivität) umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Partei am Sonntag gewählt zu werden.
emolyzr hat in einer neurowissenschaftlichen Studie die Wahlplakate der 7 größten Parteien Deutschlands analysiert. Es wurde an 20 Probanden gemessen, welche Wahlplakate welche spontanen emotionalen Reaktionen hervorrufen. Dazu wurde eine Kombination aus Eye-Tracking und Emotion-Tracking (faziale Elektromyographie und Hautleitwert) verwendet um die emotionalen Reaktionen der Betrachter während der ersten 10 Sekunden Präsentationsdauer zu erfassen. Die Studie ist nicht repräsentativ für die breite Bevölkerungsmehrheit, gibt jedoch Hinweise darauf, welche Wirkung die Plakate bei den Teilnehmern der Studie entfalten können.
Presse
Das Online-Magazin “Spiegel-Online” berichtete in der Rubrik Wissenschaft über die emotionale Wirkung von Wahlplakaten, welche emolyzr im Rahmen der Europwahl 2014 analysierte. Hier! gelangen Sie zum Artikel.
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