Eye-Tracking-Studie: Gesichter und große Schrift garantieren Aufmerksamkeit
Ein Blick sagt mehr als 1.000 Klicks. Daher interessieren sich Webdesigner und Conversion-Optimierer seit jeher dafür, wo die Besucher ihrer Website hinschauen. Dazu bemühen sie Methoden wie Eye-Tracking oder neuerdings computersimulierte Modelle visueller Aufmerksamkeit. Oder sie verlassen sich gleich auf überliefertes Wissen, wie z.B. die vermeintlichen Binsenweisheiten, dass Gesichter oder große Schrift immer Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Aber stimmt das überhaupt? Vor kurzem stellte Fabian Stelzer von EyeQuant in einem Beitrag u.a. auf t3n weit verbreitete Regeln der Weboptimierung in Frage:
- Sind Gesichter auf Webseiten wirklich immer starke Aufmerksamkeitsmagneten?
- Erzeugen große Überschriften wirklich immer große Aufmerksamkeit?
Die Ergebnisse einer Eye-Tracking Studie von EyeQuant mit 46 Probanden sollten zeigen, dass diese Annahmen keine Regeln sondern lediglich Mythen seien. In einer Studie mit 25 Probanden ging das Team um André Morys von konversionsKRAFT den Fragen ebenfalls nach und stellte gegensätzliche Ergebnisse in den Raum.
In dieser Patt-Situation, wo Aussage gegen Aussage, Daten gegen Daten stehen, ist emolyzr dem Aufruf von konversionsKRAFT gefolgt, die Ergebnisse zu replizieren (20 Probanden). In diesem Blogbeitrag stellen wir die Ergebnisse der EyeQuant-Simulation (mathematisches Modell) sowie die Eye-Tracking-Studien von EyeQuant, konversionsKRAFT und emolyzr vergleichend gegenüber, um der “Wahrheit” näher auf die Spur zu kommen. Letztlich zeigen wir, dass emotionale Daten nach Eye-Tracking der nächste Schritt sind, wenn man Besucher auf Webseiten zur Conversion bewegen möchte.
„Gesichter erzeugen immer und sofort Aufmerksamkeit“ – stimmt das?
Der Effekt: das menschliche Gehirn verfügt über ein separates visuelles Areal, das vornehmlich darauf spezialisiert ist, menschliche Gesichter zu verarbeiten. Zusätzlich werden menschliche Gesichter aufgrund ihrer motivationalen Relevanz besonders schnell und effizient verarbeitet. Eye-Tracking Studien zeigen häufig, dass Gesichter auf Webseiten einen großen Teil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Getestet wurde die Hypothese an einer Levi’s Webseite, die in den 3 Studien jeweils für 10 Sekunden sichtbar war:
Die Ergebnisse: Die emolyzr Ergebnisse (in der folgenden Abbildung unten links) decken sich im Wesentlichen mit denen von konversionsKRAFT. Das Levi’s-Logo, die Überschrift und die beiden Gesichter sind die zentralen Regionen der visuellen Aufmerksamkeit. Schaut man nach Unterschieden, zeigt sich in unserer Analyse, dass sich die Aufmerksamkeit stärker auf diese zentralen Regionen fokussiert als in den anderen Studien. Für eine genaue Quantifizierung dieser Unterschiede wäre eine ROI-Analyse in allen 4 Datensätzen angebracht.
Oben links die Simulation, oben rechts die Ergebnisse von EyeQuant, unten links die Ergebnisse von konversionsKRAFT, unten rechts die Ergebnisse von emolyzr.
Der Test zeigt: es stimmt! Gesichter ziehen auf Webseiten einen Großteil der Aufmerksamkeit auf sich.
Natürlich wurde hier nur eine Webseite getestet. Es kann unter Umständen passieren, dass Gesichter auch einmal nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das ist jedoch nicht der Regelfall! Für eine fundierte Aussage sollte selbstverständlich eine Vielzahl an Webseiten getestet werden.
Um die Frage zu beantworten, ob Gesichter „sofort“ die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, d.h. in den ersten 2-3 Sekunden, ziehen wir eine zeitliche Analyse heran. Dazu zeigen wir in der folgenden Abbildung die Aufmerksamkeitsdistribution nach 2 Sekunden aus den Studien von konversionsKRAFT (links) und von emolyzr (rechts). EyeQuant liefert hierzu keine Ergebnisse.
In beiden Datensätzen zeigt sich, dass die Gesichter bereits in den ersten 2 Sekunden von den Usern wahrgenommen werden. Auch hier würde nur eine ROI-Analyse die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ermöglichen.
Der Test zeigt: Gesichter werden in den entscheidenden ersten Sekunden von den Usern wahrgenommen.
In einem weiteren Test wollten wir in Erfahrung bringen, wie stark der Gesichter-Effekt wirklich ist. Uns interessierte, ob User auch dann auf Gesichter schauen (wollen), wenn gar keine Gesichter zu sehen sind. Dazu haben wir folgende Seite – ebenfalls von Levi’s – analysiert:
Von beiden Darstellern ist jeweils das Gesicht verdeckt. Wir haben uns gefragt, ob die User dennoch diesen Regionen besondere Beachtung schenken.
Der Test zeigt: tatsächlich wurde bei dieser Webseite neben dem Haupttext und der Headline auch dort hingeschaut, wo Gesichter zu erwarten wären.
Ein weiterer Kontexteffekt, der sich mit Simulationsstudien wohl kaum entdecken lassen würde. Um diese Hypothese besser zu fundieren, wären Test mit mehreren Webseiten notwendig.
„Großer Text erzeugt große Aufmerksamkeit“ – stimmt das?
Der Effekt: Die BILD-Zeitung weiß es seit langem und macht sich diesen Effekt zu nutze. Je größer die Schrift, desto eher fängt sie die Aufmerksamkeit der Leser ein. Die Vorhersage für die getestete Webseite lautet daher: Die Headline „ENGLISH PROOF READ“ die in großen, fetten Kapitalen geschrieben ist, zieht einen großen Teil der Aufmerksamkeit auf sich. Der Erklärtext rechts, der Call-To-Action und die Kästchen unten sollten vergleichsweise weniger Beachtung finden. Hierzu stellen wir wieder die Ergebnisse der einzelnen Studien gegenüber.
Die Ergebnisse: oben links die Simulation, oben rechts die Ergebnisse von EyeQuant, unten links die Ergebnisse von konversionsKRAFT, unten rechts die Ergebnisse von emolyzr. Unsere Ergebnisse decken sich wiederum im wesentlichen mit den Eye-Tracking-Daten von konversionsKRAFT und EyeQuant. Die Headline zieht die stärkste Aufmerksamkeit auf sich. Natürlich werden aber auch andere Bereiche gescanned und teils gelesen. Die Simulationsergebnisse hingegen unterschätzen den Effekt der Headline und des Call-To-Action.
In der obenstehenden Abbildung ist wiederum die Blickverteilung während der ersten 2 Sekunden von Webarts (links) und emolyzr (rechts) dargestellt. Es zeigt sich, dass alle Probanden zuerst die große, fette Headline lesen bevor sie andere Elemente der Webseite visuell erfassen.
Der Test zeigt: es ist kein Mythos, dass große Schrift die Aufmerksamkeit unmittelbar auf sich zieht.
Eye-Tracking an seinen Grenzen
Die getesteten Annahmen sind offenbar keine Mythen, sondern tatsächlich Regeln. Große Headlines ziehen sofort die Aufmerksamkeit auf sich und jedes Gesicht auf einer Webseite ist ein Aufmerksamkeitsmagnet (sogar versteckte Gesichter).
Aber ist das wichtig für die Conversion Rate?
André Morys stellt in seinem Beitrag auf konversionsKRAFT eines klar:
„Weder das Eyetracking noch die Simulation verraten uns jedoch, wie die Betrachter das Bild qualitativ interpretieren. Finden Sie die Seite interessant oder gar sympathisch? Würden Sie weiter klicken? Wenn nicht – Warum nicht?“
Klar, nur die Elemente einer Webseite, die der Besucher sieht, haben überhaupt die Chance in seine Entscheidung zu beeinflussen, ob er klickt oder nicht. Insofern ist Aufmerksamkeit eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für eine Conversion. Allein die Tatsache, dass eine Headline, ein Gesicht oder ein Call-To-Action gesehen wurde, sagt eine Conversion nicht vorher. Aber was dann?
Es ist wichtig, über Eye-Tracking hinaus emotionale Faktoren zu berücksichtigen. Ob ein Besucher konvertiert oder nicht entscheidet sich in den ersten Sekunden seines Besuchs. Der erste Eindruck spielt hier eine gewichtige Rolle. Dieser erste Eindruck basiert bis zu 95% auf spontanen, zumeist unbewussten emotionalen Signalen.
Emotionale Signale des Gehirns speisen sich aus dem unbewussten motivationalen Gefüge der User und lenken das Verhalten der Besucher. Das Ziel jeder Webseite sollte es sein, durch ihren Inhalt und ihre Gestalt im Kopf der Nutzer emotional positive Assoziationen zu auszulösen. Positive Emotionen führen zu Annäherungsverhalten der Besucher, wecken Interesse und Sympathie. Sie sind ein entscheidender Faktor in der Frage, ob ein Besucher konvertiert oder eben nicht.
Fazit
Landet ein Besucher auf Ihrer Webseite, können Sie sich sicher sein, dass er die Headline lesen wird (wenn sie groß genug ist), dass er Ihren Call-To-Action sehen wird (wenn er kontrastiert dargestellt wird) und dass er jedes Gesicht auf der Webseite sehen wird:
Diese Tatsachen sind klar. Ob der Besucher sich auf Ihrer Webseite anmeldet, ob er etwas herunterlädt, etwas kauft oder ob er jemals wiederkommen wird, d.h. ob er konvertiert – das hängt letztlich stark von emotionalen Faktoren ab. Davon, ob ihre Webseite das Interesse des Besuchers weckt, ob der Besucher Ihre Webseite sympathisch findet, ob die Seite positive Emotionen in ihm weckt. Auch bei der emotionalen Wirkung einer Webseite spielen Gesichter eine starke Rolle, da sie a) sehr früh wahrgenommen werden und b) den emotionalen Zustand des Besuchers direkt beeinflussen. Die folgende Abbildung zeigt eine emolyzr Emotionsanalyse.
Die Webseite wird durchgängig negativ wahrgenommen (blaue Färbung). Zwar schauen, die Besucher auf das Gesicht der Frau, finden diese aber unsympathisch. (Hätten Sie darauf gewettet?) Dieser negative Eindruck transferiert über den Blick des Modells auf das Call-To-Action Formular (ein Effekt, der als Gaze-Cueing bekannt ist). Die Konversionsrate wird aufgrund des negativen Eindrucks eher gering sein. Durch Testen der emotionalen Wirksamkeit verschiedener Modelle ließe sich bereits vorab herausfinden, welches Modell den positivsten Effekt auf den Besucher haben könnte.
Emotionale Daten für erfolgreiches Marketing
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